Eine individuelle Fehleranalyse ist nötig, um festzustellen, ob bei einem Kind eine Dyskalkulie vorliegt. Denn manch richtiges Ergebnis ist „ohne Verstand“ zustande gekommen, manch falsches Ergebnis ist das Resultat eines „intelligenten“ Fehlers. Die üblichen Rechentests, die lediglich falsche oder richtige Ergebnisse festhalten, sind hier ungeeignet, weil sie keinen hinreichenden Aufschluss über die mathematische Kompetenz geben und nicht unterscheidbar machen, was das Kind weiß und welches Wissen ihm fehlt.
Eine individuelle Fehleranalyse erfordert das informelle diagnostische Gespräch, in dem nach dem Prinzip des „lauten Denkens“ Aufgaben und ihre verschiedenen Lösungswege sowie geeignete Methoden, das Ergebnis zu überprüfen, durchgesprochen werden. Die Abwesenheit jeglichen Zeit- und Erwartungsdrucks ist hierbei unerlässliche Voraussetzung.
Die zweite wesentliche Bedingung ist, dass das Kind einen für sein Niveau kompetenten Gesprächspartner vorfindet. Sonst wird man auf die Frage: „Und wie hast du das gerechnet?“ vom Kind häufig nicht mehr als die Antwort: „Im Kopf!“ erhalten. Denn die Möglichkeiten der Verbalisierung sind speziell bei Jüngeren noch sehr beschränkt, die Angst vor Blamage ist groß und der Gesprächsgegenstand ist für das Kind in der Regel neu: Seine rechnerischen Überlegungen haben bisher kaum interessiert. Je umfassender die Kenntnis der diversen Techniken nicht-verständigen Rechnens, ihrer Vorteile und besonderen Klippen, der verschiedenen Methoden des Fingerrechnens etc. ist, desto mehr wird in diesem Gespräch zu erfahren sein, wo genau die Schwierigkeiten des Kindes liegen. Dabei ist das Vertrauensverhältnis ebenso wichtig wie die Fähigkeit des Diagnostikers, die kindlichen Äußerungen richtig zu verstehen.