Was Übung bewirken kann, wird andererseits von Eltern (und auch Lehrern) oft falsch eingeschätzt. So unverzichtbar Übung ist, um Verstandenes zu automatisieren, damit schneller, sicherer und mit geringerem gedanklichem Aufwand gerechnet werden kann — als Ersatz für Verständnis ist sie ungeeignet. Ein Kind mag „den 6er“ perfekt auswendig wissen und doch die Aufgabe 24 + 6 nach langem Zögern mit „29″ beantworten. Das Büffeln von Zahlenreihen kann das Verständnis der Addition und ihres Zusammenhangs mit der Multiplikation nicht ersetzen; erst ein Kind, das diesen Zusammenhang verstanden hat, wird von der Automatisierung des Einmaleins angemessen profitieren.
Viele Aufgaben sind gar keine Übungsfragen, sondern Wissensfragen. Für jemanden, der den Zahlaufbau im Stellenwertsystem verstanden hat, ist z.B. die Aufgabe „12 x 10″ leicht zu lösen. Für ein rechenschwaches Kind kann sie unter Umständen „zu schwer“ sein. Begründung: „Ich kann den 12er nicht“.
Der Versuch des Kindes, all das auswendig zu lernen, was es nicht versteht, erfordert einen enormen Aufwand an Konzentration und Merkfähigkeit. Mit der Zeit wird es dann immer schwerer und schließlich unmöglich, fehlendes Verständnis durch Gedächtnisleistungen wettzumachen. „Üben“ hilft hier nicht.
Wer keine Möglichkeit erhält, seine Defizite im mathematischen Verständnis aufzuarbeiten, für den kann die Forderung nach mehr Einsatz nicht nur unnütz, sondern sogar sehr schädlich sein. Denn ein Kind, das bereits viel freie Zeit der Mathematik opfert, kann als Konsequenz daraus folgern, dass es sinnlos ist, sich weiter abzumühen, weil es das ja „sowieso nicht kapiert“. Damit aus dieser Resignation nicht ein dauerhafter Verlust der Lernmotivation wird, ist es wichtig, eine Dyskalkulie rechtzeitig zu erkennen und möglichst früh mit gezielter Förderung zu beginnen.
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